Stimmungsbild

Ich bin überfordert. Hoffnungslos… von allem und jedem. Am liebsten möchte ich im Moment keinen Menschen sehen, nicht sprechen, mich einfach irgendwo verkriechen, und schlafen. Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen fällt mir schwer, alles ist zu viel. Selbst die einfachsten Dinge, egal ob im Haushalt oder sonst wo überfordern mich …

Es ist mir alles zuviel. Die Situation in der Ukraine, die immer noch aktuelle, wenn auch komplett in den Hintergrund getretene Pandemie, die langanhaltende Ungewissheit im beruflichen Kontext und nicht zuletzt auch noch der ganz normale Wahnsinn, denn es sowieso tagtäglich zu bestehen gilt.

Um gleich allen vorwegzugreifen, die mich jetzt mit ihrer Hilfsbereitschaft liebevoll umfangen möchten: Eure Sorge und euer Mitgefühl ehrt mich und ich möchte euch dafür danken, aber eigentlich sind solche Phasen in meinem Leben doch ganz normal. Ich kenne sie, seit ich denken kann. Genauso wie regelmäßige Nervenzusammenbrüche und auch Shutdowns, die dann dazu führen, dass ich die Kommunikation komplett einstelle bzw. einstellen muss, weil ich mich im „normalen Leben“ überhaupt nicht mehr zurechtfinde. Manchmal, wenn auch Gott sei Dank nur sehr selten, ist es sogar so schlimm, dass ich tatsächlich nicht mehr kommunizieren kann, denn ich verstehe zwar die Worte, die mir gegenüber ausgesprochen werden, kann sie aber keiner Bedeutung mehr zuweisen… Irgendwie fährt sich mein Körper in solchen Situationen komplett herunter. Soweit bin ich aktuell jedoch (noch) nicht und hoffe die Situation wieder so in den Griff zu bekommen, dass es auch nicht so weit kommt. Aber es ist schwierig, denn dazu müsste ich meine eigenen Grenzen erkennen und innehalten wenn ich an ihnen angelangt bin. Klingt eigentlich ganz einfach… eigentlich…ist das aber ganz schön schwer, wenn man zwar sehr schnell die Grenzen des Gegenübers erkennt, die eigenen aber regelmäßig mit Schmackes überrennt, weil man sie einfach nicht sieht oder es auch gerade nicht als passend empfindet sie zu respektieren.

Ich habe häufig Schwierigkeiten damit mich selbst wahrzunehmen. Meine Bedürfnisse, meine Wünsche, meine Ziele (oder auch einfach nur meine Außenwirkung, aber das ist hier heute nicht das Thema). Von klein auf habe ich mir angewöhnt mich an meinem „außen“ zu orientieren. Genau zu beobachten um entsprechend zu reagieren. Schon vorher zu wissen, was geschehen wird, was jemand von mir möchte und wie ich mich dann akut verhalten muss um handlungsfähig zu bleiben. Wie es mir dabei geht, hab ich mich (zumindest soweit ich mich erinnern kann) nie gefragt, denn das war für mich nicht relevant. Ich wollte einfach nur so etwas wie Harmonie mit dem um mich herum erreichen. Wenn das bedeutet hat zurückzustecken oder auch mich zu verbiegen, dann war das in Ordnung. Hauptsache alles war „scheinbar“ gut.

Harmonie… sie war und ist es auch immer noch, (über)lebenswichtig für mich. Ohne sie kann ich dauerhaft nicht leben. Disharmonie halte ich nur sehr schwer aus. Im Leben wie in der Musik.
Natürlich gibt es auch in meinem Leben Konflikte. Wir Menschen sind alle sehr verschieden, keiner ist wie der andere, da bleiben disharmonische Töne und konfliktreiche Situationen nicht aus, aber diese kläre ich, so es irgendwie in meiner Macht liegt.
Ich weiß, dass solche Geschehnisse wichtig sind und scheue mich auch nicht davor, denn sie sind nötig, damit wirkliches Leben stattfinden kann. Schließlich kann auch ein kleiner, friedlicher Bach unter bestimmten Umständen zu einem reißenden Fluss mutieren, vieles mitreisen und zerstören, bevor er in sein Bett zurückfindet. Aber manchmal braucht es so etwas vielleicht auch einfach.
Oder, um es mit den Worten von Charles Chaplin zu sagen:

„Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen,
Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten,
denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander
und es entstehen neue Welten.
Heute weiß ich: DAS IST DAS LEBEN !“

Solche Phasen wie die momentane mit ihren vielen Unklarheiten, Konflikten in allen Bereichen, den vielen unausgesprochenen Sorgen, Ängsten und Nöten, die dennoch deutlich spürbar und für mich fast greifbar vorhanden sind, machen mir mein Leben gerade etwas schwierig und kompliziert. Es sind zu viele Baustellen. Ich komme mir vor wie ein Architekt der das erste mal auf einer Großbaustelle steht, auf der an jedem Eck eine andere Baufirma bereits begonnen hat zu bauen. Ganz so wie sie selbst es für richtig hält. Und jede einzelne dieser Firmen ist natürlich auch davon überzeugt, dass das was sie tut, dass einzig Wahre und Richtige ist. Die Abstimmung fehlt, über ein Miteinander wurde überhaupt nicht nachgedacht und Kompromisse sind gar nicht erwünscht weil es nicht als notwendig empfunden wird. Das Einzige, das vielleicht noch möglich ist, ist ein: Ich lass dich, du lässt mich. Ich machs wie ich will und du machst es wie du willst. Sprechen über unsere unterschiedlichen Ansichten tun wir aber nicht, denn das möchte ich nicht. Wir tun einfach so, als gäbe es diese ungeklärten Fragen und Flecken zwischen uns nicht.

In dieser Pandemie hab ich gelernt, dass ein großer Teil der Menschen so scheinbar leben kann. Ein anderer Teil lebt die totale Konfrontation, in der es auch nicht möglich ist ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, da erwartet wird, dass ich am Ende der Diskussion doch bitte die Meinung meines Gegenübers anzunehmen habe. Ganz ehrlich: Ich kann das Beides nicht!
Für mich fühlt sich beides an, als müsste ich über ein Tretminenfeld laufen, nie wissend wann es mich erwischt und das strengt mich auf eine schier unglaubliche Art und Weise an, so dass da an Genuss und Wohlbefinden oder ein entspanntes Miteinander, nicht mal im Traum zu denken ist.

Ich bin ein sehr klarer und freiheitsliebender Mensch und um mich wohlzufühlen, brauche ich auch eine solche Kommunikation. Wir müssen nicht einer Meinung sein, aber wir müssen über unsere Unterschiedlichkeit sprechen und vielleicht auch diskutieren können. Denn nur so haben wir die Möglichkeit uns wahrhaftig zu sehen und zu verstehen und das ist es doch, was uns wirklich vorwärts bringt, was wahre Gemeinschaft ausmacht.

Ich bin ein Mensch, dem es wichtig ist Brücken zu bauen oder auch Brücken zu erhalten. Auch ich bin durchaus in der Lage eine sehr klare Meinung von einem Thema oder zu einem Menschen zu haben. Doch meist dauert es nicht lange und ich möchte verstehen was „die andere Seite“ ausmacht, was sie antreibt. Ich kann doch ein Bild nicht nur aus einer Perspektive betrachten. Es gibt dabei so viel zu beachten, unabhängig davon ob mir das Motiv gefällt oder nicht:

Unter welchen Bedingungen hat der Künstler das Bild gemalt.
Wie war die Situation als er es malte. Was geschah zu dieser Zeit in seinem Leben? Wie alt war er? Welche Lebenserfahrungen hat er bereits gemacht?
Welche Farben hat er benutzt? Ist die Farbe, die ich hier sehe noch im Originalton oder ist sie nachgedunkelt/ausgebleicht?
Habe ich wirklich alles auf dem Bild entdeckt, was es zu entdecken gibt, auch wenn es noch so klein ist?
Welche gesellschaftlichen Konventionen galten zu der Zeit als es gemalt wurde? Was war der damalige Stand der Wissenschaft? Was sah man als gegeben an?
Weiß ich unter welchen Lichtverhältnissen das Bild gemalt wurde? Wenn nein, habe ich es dann unter mehreren möglichen Bedingungen betrachtet?
Man kann diese Liste noch lange weiterführen.

Das was ich hier oben versuche anhand eines Bildes zu beschreiben, entspricht so ziemlich meiner Art zu denken und die Welt und die Menschen zu sehen. Ich kann und ich will das nicht abstellen, denn das bin ich. Und je älter ich bin, desto schwerer fällt es mir auch so zu tun, als wäre ich nicht so, nur um des lieben Friedens willen, der halt aber tatsächlich keiner ist. Denn nur weil etwas friedlich scheint, ist es noch lange nicht harmonisch.

Ich denke, sehe und fühle anders wie viele andere Menschen, dass macht mir das Leben oft schwer und kompliziert, so wie auch gerade im Moment. Zugleich eröffnet mir dieses Anderssein aber einen Zugang zur Welt, denn ich genau so haben möchte. Den ich brauche um das Große und Ganze, zumindest in kleinen Teilen zu verstehen, um der „Ordnung der Welt“ oder der „Weltenseele“ wie Paolo Coelho es nennt, ein kleines Stückchen näher zu kommen, denn eines weiß ich sicher:

Jedes Geschöpf ist mit einem anderen verbunden, und jedes Wesen wird durch ein anderes gehalten.“

und

„Letztlich sind wir hier, weil es kein Entrinnen vor uns selbst gibt. Solange der Mensch sich nicht selbst in den Augen und im Herzen seiner Mitmenschen begegnet, ist er auf der Flucht. Solange er nicht zulässt, dass seine Mitmenschen an seinem Innersten teilhaben, gibt es keine Geborgenheit. Solange er sich fürchtet durchschaut zu werden, kann er weder sich noch andere erkennen – er bleibt getrennt.
Alles ist mit Allem verbunden.“

(beide Zitate stammen von der Heiligen Hildegard von Bingen)